Leseprobe Samson und die STADT des bleichen Teufels

Leseprobe aus Samson und die STADT des bleichen Teufels

Aus Devil Malone

Devil Malone wartete geduldig. Er hatte Zeit. Alles lief, wie er es wollte. Er starrte in die Dunkelheit. Es tropfte von der Decke. Das stetige Rauschen des Flusses übertönte die meisten Geräusche, trotzdem hörte Devil die Tropfen auf den kalten Stein aufschlagen. Er nahm einen tiefen Zug von seiner Zigarette, ließ den Rauch um sein Gesicht wabern. Es war ungemütlich kalt hier. Obwohl der nächste Ausgang zur oberen Welt kilometerweit fort sein musste, pfiff ein eisiger Wind durch diese Höhle. Er rückte den weißen Schal zurecht, den er sich um den Hals geschlungen hatte. Der dunkle Anzug war kein wirklicher Schutz gegen die beißende Kälte, auch das dünne, weiße Hemd mit der schmalen, ele- ganten Krawatte nicht. Doch darauf kam es auch nicht an.

Devil zog erneut an der Zigarette, die Glut erleuchtete die Dunkelheit um ihn herum. Er konnte nur wenig erkennen, da es stockfinster war, aber er wusste, nur ein paar Meter hinter ihm war der Eingang nach Dark Vegas, der Weg zu- rück zum Licht. Auch wenn es nur ein schummriges, flackerndes, ewig künstli- ches Licht war.

Der Gedanke an Licht und Helligkeit ließen Devil unruhig werden. Er rutschte von einem Fuß auf den anderen. Kurz blickte er sich um, aber hier war niemand. Nur er, der Fluss und die Kälte in der Dunkelheit. Schnell schnippte er den Ziga- rettenstummel in die reißenden Fluten und griff in die Innentasche seines Ja- cketts. Heraus zog er ein kleines Päckchen, das durch eine dunkle Schutzfolie schwach schimmerte. Noch einmal vergewisserte Devil sich, dass ihn niemand sah. Eine solche Schwäche würde hier unten schnell ausgenutzt werden, das wusste er. Trotzdem, er brauchte das jetzt. Er schloss die Augen und riss mit ei- nem energischen Ruck die Schutzfolie von dem Päckchen. Ein gleißender Licht- strahl brach aus dem Pack hervor und erhellte Devils Gesicht in einem warmen Glanz. Er brauchte das. Schnell und heimlich legte er sich die kühle Lichtkom- presse auf die Augen. Durch die geschlossenen Lider flutete kurz und heftig ein helles Strahlen. Es erfüllte sein gesamtes Blickfeld. Devil spürte, wie das Licht seinen Körper erwärmte. Es floss durch seine Adern, kleine chemische Reaktio- nen auslösend, umspülte sein Herz, verkrampfte seinen Magen in der Sehnsucht nach mehr und enthob ihn für einen kurzen Augenblick allen irdischen Daseins. Er atmete tief ein, gerade so, als wollte er das Licht aufsaugen. Er stöhnte leise, als seine Muskeln sich entspannten und seine Lippen sich zu einem leichten Lä- cheln verzogen. Dann ließ die Wirkung viel zu schnell nach.

Devil öffnete die Augen und blickte verschämt um sich, ob ihn jemand beobach- tete hatte. Bald schon, dachte er, bald bin ich nicht mehr auf diese Instantlösung

Sie werden mich nicht auf ewig in diesem Loch halten können. Ich werde kommen und mir holen, was mir zusteht. Dann war es vorbei. Das Licht war aufgebraucht und die Dunkelheit kroch umso stärker wieder zurück. Devil schauderte. Ich habe es unter Kontrolle, dachte er. Kein Problem.

Er blinzelte und richtete seinen Blick wieder auf den Fluss. War da was? Er war sich nicht sicher, ob ihm seine Augen einen Streich spielten und er durch den Lichtschuss nun Flecken vor den Augen hatte, oder ob er wirklich ein Licht sah. Dort drüben am anderen Ufer des Flusses, oder besser gesagt dort, wo er das an- dere Ufer des Flusses vermutete. Devil war natürlich noch nie drüben gewesen und er hoffte, diesen Besuch auch noch sehr lange hinausschieben zu können.

Er sah noch einmal genauer hin. Na endlich, dachte er, als er sicher war, dass sich dort, schwankend auf den tosenden Fluten, ein kleines, aber helles Licht näherte. Devil wartete, behielt das Licht im Auge. Er fragte sich schon lange nicht mehr, wie der alte Mann sein Boot mit nur einem Stab über den reißenden Fluss übersetzen konnte. Das war und blieb das Geheimnis des Fährmanns. „Hallo, alter Mann“, sagte Devil, als das Boot vor ihm am Ufer anlegte. Die Wellen tosten an seinem Rumpf, aber das kleine Schiff blieb so ruhig, als triebe es an einem Sommernachmittag auf einem friedlichen Tümpel. „Ich möchte dir ein Geschäft vorschlagen.“

„Ich bin der Fährmann, ich bin unbestechlich“, sagte der Fährmann. Devil seufz- te. Er hörte diesen Spruch nun jedes Mal, wenn er einen Toten in Empfang nahm. Das schien für den Alten zum Spiel zu gehören. Schließlich war es ei- gentlich seine Aufgabe, die Verstorbenen auf die andere Seite des Flusses zu bringen – und nicht wieder zurück. Doch jeder hat seine Schwachstellen.

„Aber du bist käuflich“, lachte Devil Malone böse und drückte ihm etwas Geld in die Hand. „Ich will dein Blutgeld nicht.“ Der Fährmann verzog das Gesicht, ließ das Geld aber nicht los. „Was soll ich damit auch hier unten? Wenn du mich nicht in der Hand hättest …“

„Ach komm, lass doch die alten Geschichten. Du könntest gelegentlich in meine Räumlichkeiten kommen. Nette Gesellschaft ist garantiert! Du bist doch so al- lein. Und bei uns werden die Karten immer wieder neu gemischt. Gespielt wird immer und der Einsatz ist manchmal zu hoch – und das obwohl die meisten schon ihre Seele verspielt haben.“ Devil lachte dreckig. Als er merkte, dass der Fährmann keine Miene verzog, lachte er noch etwas lauter.

„Los, steig aus.“ Der Fährmann hatte sich umgedreht und sprach nun mit seinem Gast. Der Mann, der bisher irritiert auf der Rückbank gesessen hatte, stand unsi- cher auf und trat nach vorne. Vorsichtig kletterte er auf den rutschigen Felsen, stand dann unschlüssig neben Devil Malone.

„Man hat für dich bezahlt.“ Der Verstorbene blickte Devil nur verständnislos an. „Deine Familie hat alles, was sie hatte, gegeben, damit ich dich vom Tod errette. Und du siehst, ich habe ein weiches Herz. Ich habe meine Beziehungen spielen lassen und habe dich dem Tod abgekauft.“ Der Mann blickte ihn immer noch an, als würde er überhaupt nicht verstehen, was hier vor sich ging. Vor wenigen Stunden noch war er bei seiner Familie ge- wesen. Seine fünf Kinder hatten gebrüllt, waren durch die kleine Zwei-Zimmer- Wohnung getobt. Seine Frau hatte abwechselnd geweint oder geschrien und die Nachbarn standen im 10-Minuten-Takt vor seiner Tür und beschwerten sich. Er war nur mal kurz vor die Tür gegangen, um zum Kiosk zu laufen. Dort, wo der Verrückte mit dem schäbigen Hut immer stand. Hatte er die Straße überquert? War er überfahren worden? Er konnte sich nicht daran erinnern. Er wusste nur, dass es plötzlich dunkel geworden war. Stimmen hatte er noch gehört, aufgereg- te, aber auch ruhige. Aber da hatte ihn die Dunkelheit schon so angezogen, dass er nicht mehr darauf gehört hatte. Stille war über ihn geschwappt, wie eine Wo- ge dunklen, warmen Wassers. Als er zu sich gekommen war, saß er bereits im Boot des Fährmanns. „Bist du mir dankbar?“ Devil lächelte ihn freundlich an. Er nickte. „Das solltest du auch sein.“ Malone machte eine kleine Pause und führte den Verstorbenen vom Fluss weg. Langsam gingen sie auf den Ausgang zu. Das leichte Flackern von Neonröhren durchdrang die Dunkelheit. „Ich habe dich vor dem Tod, vor der Dunkelheit und der ewigen Verdammnis gerettet, weil deine Familie mich darum gebeten hat. Weißt du, ich habe ein gu- tes Herz und tue anderen gerne einen Gefallen. Verstehst du das?“ Der Verstorbene nickte. Er verstand überhaupt nichts. Wieso durfte er nicht in der Dunkelheit bleiben? Dort, wo es warm und ewig war? Dort hatte er sich auf- gehoben gefühlt. Die Erinnerung an seine Familie war bereits blasser geworden, wie alle Erinnerungen an sein Leben. Seine Frau war schön gewesen, auch ihr Name passte zu ihr … Doch er konnte sich bereits nicht mehr wirklich daran er- innern. „Nun bist du hier. Leider …“ Devil hob bedauernd die Augenbrauen „leider deckte das Vermögen deiner Familie nicht ganz die Ausgaben, die ich hatte, um dich da rauszuholen. Du warst nicht besonders sparsam, oder?“ Der Verstorbene räusperte sich, erinnerte sich kurz an sein altes Leben. „Die Kinder … fünf Stück … und dann war der Job weg …“ „Ja, ja, so hat jeder sein Päckchen zu tragen. Aber ich möchte dir helfen. Ich möchte dir ein Geschäft vorschlagen. Du wirst verstehen, dass ich dich so nicht einfach wieder nach oben lassen kann. Ich bin das finanzielle Risiko eingegan- gen und habe für dich gebürgt. Bevor du zu deiner Familie zurück kannst, fände

ich es schön, wenn du dich an unserer kleinen … Transaktion beteiligen wür- dest. Schließlich hast du die ganze Unruhe verursacht, nicht wahr?“ Devil lach- te. Sie waren durch einen langen, gekachelten Korridor gegangen, hell erleuchtet durch Neonröhren. Devil war stehengeblieben und griff nach einer der beiden Türen am Ende des Korridors, hielt aber noch kurz inne.

„Also abgemacht? Du hilfst mir, deine Schulden abzutragen. Danach … kannst du gehen, wohin du willst. Ok?“ Der Verstorbene nickte. „Wie lange?“ „Viel kürzer als die Ewigkeit. Vielleicht ein-, zweihundert Jahre?“

„Aber dann ist doch meine Familie längst tot!“ Devil lachte. „Das ist doch nicht meine Schuld. Wenn du willst, kann ich sie für dich freikaufen, wenn du dann Geld hast.“ Er öffnete die Tür. Hitze schlug ihnen entgegen, ließ den Verstorbenen zurücktaumeln. Doch Devil packte ihn an der Schulter und drückte ihn hinein. Der Schrei des Mannes wurde gedämpft, als sich die schalldichte Tür schnell und fest wieder schloss. Er hatte heute ein gutes Geschäft gemacht. Devil lachte dreckig und überlegte, ob er sich die Kompresse schnell noch ein- mal auflegen sollte. Er hatte das Gefühl, dass die Wirkung des Lichtes immer schneller verging. Ich habe es unter Kontrolle, sagte er sich und steckte die Kompresse in die Ta- sche. Ich werde in die STADT zurückkehren und dann kann ich jeden Tag in der Sonne liegen. Und sie können nichts dagegen tun! Sie werden mich auf Knien bitten zu kommen! Und der Junge wird mir dabei helfen. Wieder lachte er dre- ckig. Dann, als er sich überzeugt hatte, dass ihn niemand sah, legte er sich doch schnell noch einmal die Kompresse auf die Augen.

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